Der Kietz bei Köpenick
und die Fischerei Kietze sind wahrscheinlich slawischen
Ursprungs (chyza = die Hütte). Auch in unserem Gebiet
können Slawen noch vor der Entstehung des Kietzes nachgewiesen
werden. Sie lebten in einer für sie typischen Rundwallanlage
von 655 bis gegen das Jahr 1000 auf der heutigen Schlossinsel.
Für die Entstehung von Kietzen kann man das Vorhandensein
einer mittelalterlichen Burganlage in der Regel als Voraussetzung
ansehen.
In Köpenick befand sie sich, wie vorher die slawische
Befestigungsanlage, auf der Schlossinsel. Die Bewohner des
Kietzes standen im Schutz der Burg und später des Schlosses
und in deren Abhängigkeit, die sich in einer über
Jahrhunderte andauernden unbegrenzten Dienstpflicht sowie
in den Abgaben ausdrückte.
Die Kietze waren selbstständige Gemeinden, die nicht
zur frühdeutschen Stadt in diesem Falle zu Köpenick,
gehörten. Sie hatten eigene Rechtsverhältnisse und
Schulzen. Die für den Kietz bei Köpenick erste nachweisbare
Schulzenerwähnung stammt aus dem Jahre 1487.
Die Häuser, Grundstücke sowie die mit ihnen verbundenen
Rechte waren für die Bewohner erblich. In unserem Kietz
handelt es sich um die Fischereigerechtigkeit.
Die Kietze waren sehr kleine Siedlungen. Die aus nie mehr
als einunddreißig Häusern bestehende Kietz bei
Köpenick war zum Beispiel von den dreiunddreißig
Kietzen der Mark Brandenburg der drittgrößte.
Typisch für die meisten Kietze ist ihre Beziehung zum
Wasser und dass sie meist als Straßendorf angelegt wurden.
Auch unser am Frauentog gelegener Kietz hat diese Form. Er
liegt südlich der Köpenicker Altstadt und wird von
dieser durch die Kietzgraben getrennt. Aus dem Jahre 1355
stammt seine erste urkundliche Erwähnung. Auch im Landbuch
der Mark Brandenburg von 1375 wird er genannt. Damals bestand
er aus vierundzwanzig zinspflichtigen Häusern, doch in
den folgenden Jahrhunderten schwankte die Zahl der Hausstellen.
Im Köpenicker Privileg von 1487 werden einundzwanzig
Hausstellen und fünf wüste Höfe erwähnt,
während das Erbregister von 1589 erstmalig einunddreißig
Hausstellen aufführt, die alle mit einer Fischereigerechtigkeit
verbunden waren. Man denkt sich die Kietzer ausschließlich
als Fischer, doch muss daran erinnert werden, dass sie als
Leibeigene sehr oft mit ganz anderen Dingen beschäftigt
wurden. So beklagten sie sich 1650 darüber, dass ihre
Dienste unmäßig wären und aus dem Jahre 1704
liegt eine Aufstellung vor: „Hingegen dienen sie täglich
zu Hofem so oft ihnen geboten wird, mit Aufwarten bey den
Ablagern, Jagdlaufen, Holtzfällen, Briefetragen, müsse
auch in die königliche Lust- und Maulbeergärten
allhir und sonst allerley Hand- und Fuessdienste verrichten,
wann und wo immer es nötig ist.“
Die Frauen hatten mit der Reinigung der Burg bzw. des Schlosses,
dem Scheren der Schafe, Bearbeiten des Garnes und dem Spinnen
ebenfalls zu tun.
Außerdem halfen alle in der Erntezeit den Bauern und
aus dem Jahre 1516 liest man, dass die Kietzer neben dem Fällen
des Holzes auch für den Abtransport zu sorgen hatten,
dass man sie zu Kahn- und Zollarbeiten und zu Transportarbeiten
verschiedenster Art benötigte.
Für den Fischfang arbeiteten nicht nur die Fischer selber,
sondern meist alle Familienmitglieder. Frauen und Töchter
bereiteten den Flachs und knüpften Netze und Reusen.
Meist waren es auch die Frauen, die die Fische verkauften
und zwar nicht nur in Köpenick, sondern ebenso auf den
Fischmärkten in Berlin. An den entsprechenden Markttagen
fuhren sie schon nachts gegen zwei Uhr mit ihren Booten los,
um gegen sechs oder sieben Uhr in Berlin zu sein.
Im 17. Jahrhundert stand den Fischern der umliegenden Orte
der Fischmarkt in Berlin und Cölln zum Feilhalten der
Fische an drei Wochentagen zur Verfügung und seit dem
18. Jahrhundert hatten die Kietzer feste Verkaufsbuden auf
dem Berliner Fischmarkt. Später, als 1886 die erste Markthalle
in Berlin eröffnet wurde, verlagerte sich auch der Fischhandel
nach der Zentralmarkthalle am Alexanderplatz.
In den früheren Jahrhunderten gehörten noch Wiesen
zum Kietz, sie wurden als Fischgründe genutzt und lagen
auf dem Baumgarten bei Oberschöneweide, in der Nähe
des heutigen Allende Viertels und zwischen der Garten- und
Marienstraße, heute Wendenschlossstraße. Darüber
hinaus besaßen die Kietzer meist auf gepachteten Böden
(an der Großen Krampe, am Seddinsee, am Großen
Zug, an der alten Spree, am Flakensee und Müggelsee)
kleine Hütten, in denen sie während der Sommermonate
oft montags bis freitags wohnten und von denen sie zum Fischen
fuhren. Zwei große Fischerhütten gab es als Müggelbude
am Müggelsee und Krampenbude an der Großen Krampe.
Und schließlich nannten sie schon seit den Privilegien
von 1487 kleine stehende Gewässer, sogenannte „Laken“,
ihr Eigentum.
In diesen Privilegien waren ihre Rechte und Pflichten vorgeschrieben
sowie die fichereiberechtigten Grundstücke, die Fanggeräte
und Fischfangzeiten. Danach durften sie nur die Kleingarnfischerei
ausüben. Sie wurde mit Fanggeräten betrieben, die
der Landesherr zudiktierte, wobei der Fischereiberechtigte
nur mit dem Kahn und einem Gehilfen fischen durfte bzw. mit
dem kleinen Zugnetz (Wade).
Der Landesherr dagegen ließ die Großgarnfischerei
ausüben. Hierbei gab es für das Zugnetz keine Größenbeschränkung
und es konnten beliebig viele Kähne und Personen eingesetzt
werden. Es ist klar, dass das Vorhandensein eines Großfischers
für die kleinen Fischer des Kietzes einen Existenzkampf
bedeutete, aber obwohl der Landesherr die Großgarnfischerei
verpachtete, konnten sie erst 1894, als sie sich zu einer
Fischerinnung zusammenschlossen, selbst die Pächter der
begehrten Großgarnfischerei werden.
Der Beruf des Fischers selbst fand durch das Bestehen der
Innung eine Aufwertung: Es wurden Meister- und Gesellenprüfungen
eingeführt und in Zeugnissen bestätigt. Mitglied
der Innung konnten nur werden, wer die bürgerlichen Ehrenrechte
besaß, nicht infolge gerichtlicher Anordnungen über
sein Vermögen beschränkt war, einen ehrenhaften
Lebenswandel und einen ordnungsgemäßen Gewerbebetrieb
führte. Durch die Innung wurden auch die Anfänge
einer Fischereiwirtschaft begründet. Ihr Status wies
auf die Erfordernisse der Uferpflege, des Laichstellenbaues
und auf das Einsetzen der Jungfische hin.
Das erwies sich als besonders notwendig, denn um die Jahrhundertwende
wurden die Rechte der Fischer immer mehr angegriffen und mussten
durch kostspielige Gerichtsprozesse neu errungen werden. Sportinteressierte
errichteten beispielsweise vielerorts Landungsstege und Brücken,
der Schiffsverkehr entwickelte sich, Schleusen wurden gebaut,
Flüsse begradigt, die Industrie legte ihre Werke an die
Ufer. Oft wurden dadurch die Voraussetzungen der Fischerei
zerstört. Auch später, ab 1920, drohte der Fischerei
ein ähnlicher Niedergang, als wieder eine Fülle
an Bootshäusern, Fabriken, Villen, Uferbefestigungen
und Steganlagen entstanden. Das Bestehen des Berufes selbst
war ebenfalls nicht mehr als Selbstverständlichkeit gesichert:
Jahrhundertelang waren die Söhne der Fischer ebenfalls
Fischer geworden, doch jetzt gab es die Möglichkeit einer
Berufswahl.
Die Kietzer Fischerinnung überstand die Schwierigkeiten,
dennoch waren die Veränderungen gravierend, dass sie
auch äußerlich sichtbar wurden. Was Jahrhundertelang
unmöglich gewesen war, trat ein: Nichtfischer erwarben
die ersten Häuser, zwei- bis dreistöckige Gründerzeitbauten
traten an die Stelle der alten, niedrigen, rohrgedeckten Fischerhäuser.
Andere Wirtschaftszweige hielten in der kleinen Gemeinde ihren
Einzug. Der dörfliche Charakter und die Struktur eines
Fischerdorfes ging verloren. Dennoch blieb der Kietz bis 1898
ein selbständiges Dorf, Kietz bei Köpenick, das
erst am 01.04.1898 gegen den erbitterten Widerstand seiner
Bewohner zu Köpenick eingemeindet wurde, d. h., in die
erst kurz davor entstandene Kietzer Vorstadt.
Noch heute bewahrt er sich, trotz der neu entstandenen Wohnhäusern,
den Charakter einer anderen Zeit.
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